Die dreiste Glosse< Zurück 30.01.2013
Von Max Werschitz
Es ist leicht über herausragende Filme zu schreiben. Es ist noch leichter über miserable Filme zu schreiben. Schwärmen und schimpfen, das sind die beiden Garanten für Spaß an einer Kritik. Aber was wenn der Film einfach nur sehr gut war?
Für weit mehr als eine Handvoll Dollar.
Nachdem ich letzte Woche Django Unchained gesehen hatte stand ich genau vor diesem Problem. Ich kämpfte lange mit dem Einstieg in diesen Artikel, und mit der Suche nach dem roten Faden der ihm folgen sollte. Aber dann hat es endlich Klick gemacht. Mir fiel plötzlich wieder diese wunderbare Szene mit den Ku Klux Klan-ähnlichen Reitern ein die minutenlang über ihre Kapuzen diskutieren, als wären sie eine Tupperware-Party statt eines gefährlichen Mobs. Und mir fiel wieder ein was ich in dem Moment zu meinem Sitznachbarn geflüstert hatte: "There is so much love in this hate group".
Wer kennt das Zitat, woher ist es? Korrekt hieß es, mit unschuldiger Miene vom overall good guy Hoyt Fortenberry serviert, "Right here, right now I feel more love in this hate group than I ever felt at church or basketball or anywhere for that matter." Genau: True Blood. Fünfte Staffel, 7. Episode. Nur eines von vielen Highlights dieser großartigen Serie, die, was den herrlich absurden Humor und die Gewaltverliebtheit betrifft, mit den Werken von Quentin Tarantino erstaunlich viel gemeinsam hat. Und bei diesem Gedanken ist mir schließlich ein Licht und damit der Knopf aufgegangen: Tarantino ist ein Fan von hate groups. Genauer gesagt: er schweißt die ProtagonistInnen auf der Leinwand mit dem Publikum im Kinosaal zu einer hate group zusammen. From Dusk Till Dawn, Kill Bill, Death Proof, Inglorious Basterds, und jetzt Django Unchained – alles Filme in denen wir zuerst gemeinsam lernen die Bösewichte zu hassen, um uns dann gemeinsam daran zu ergötzen wie es ihnen möglichst originell und blutig an den Kragen geht.
Das Konzept dahinter ist simpel, und auch entsprechend gut. Jede/r von uns erlebt tagtäglich, ob persönlich oder über die Medien, Ungerechtigkeiten gegen die sie/er machtlos ist, und Tarantinos Filme fungieren somit als willkommenes Ventil. Aber die erneute Verwendung dieses Konzept ist wohl auch der Grund warum ich Django Unchained wie anfangs erwähnt "nur" sehr gut und nicht herausragend fand. Er ist witzig, spannend, visuell beeindruckend und in manchen Details auch innovativ, aber insgesamt eben wieder Altbekanntes.
Frappierend wird dies vor allem wenn man Tarantinos Vorgängerwerk in Betracht zieht: was in Inglorious Basterds die Juden waren sind in Django Unchained die Sklaven, und aus den Nazis werden Sklavenbesitzer und deren Lakaien. Angesichts der menschenverachtenden Monstrosität derer Verbrechen ist es für die ZuseherInnen natürlich wieder ein Leichtes sich in der hate group wohlzufühlen. Vor allem wenn ihr Mastermind der neue Allerweltsliebling Christoph Waltz ist, und somit zwar die Seiten gewechselt hat, sich dort aber prompt in einer recht ähnlichen und ihm unzweifelhaft auf den Leib geschriebenen Rolle wiederfindet. Als deutschstämmiger Kopfgeldjäger Dr. King Schultz mit gleichermaßen Flair für Pedantik und Theatralik befreit er den Sklaven Django (Jamie Foxx) und nimmt ihn unter seine Fittiche (Schultz: "How do you like the bounty hunting business?" Django: "Kill white folks and they pay you for it? What's not to like?"). Nicht ganz uneigennützig, wohlgemerkt: Django soll für ihn die berüchtigten Brittle Brothers identifizieren. Doch nach getaner Arbeit fasst das ungewöhnliche Duo ein weitaus schwierigeres Ziel ins Auge: die Rettung von Djangos Frau Brunhilde/Broomhilda (Kerry Washington). Um dies zu bewerkstelligen müssen sich die beiden als Kaufinteressenten an 'Mandingo Fighting'-Sklaven ausgeben und in die Höhle des Löwen begeben.
Django Unchained ist also nicht sonderlich originell, aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau – denn er ist Tarantino at his best. Dies zeigt sich vor allem in der Tatsache dass trotz der natürlich dominant wirkenden Actionsequenzen die wahre Spannung wieder einmal (man denke etwa an den Anfang von Inglorious Basterds) in den dialoglastigen und bewusst langsam gehaltenen Szenen liegt. Hier schafft es Tarantino ganz ohne Blut und Beuschel das Kinopublikum kollektiv an die Sitzkanten zu treiben. In diesem Stil funkioniert etwa der Aufbau zum ersten Finale (ja, der Film hat Endeffekt zwei, und damit eine eher ungewöhnliche Struktur): ein trügerisch beschauliches Dinner zwische Django, Schultz und dem exzentrischen Sklavenbesitzer Calvin Candie (Leonardo DiCaprio). Als endgültig nervenzerfetzender Katalysator fungiert schließlich ironischerweise der ergraute Haussklave Stephen (brilliant gespielt von Samuel L. Jackson), der dem Begriff Stockholm-Syndrom ein ganz neues, häßliches Gesicht gibt.
Wenn die Worte dann doch den Taten weichen, und das tun sie vor allem bei den zwei Shootouts am Ende, dann weicht die Spannung purem Spaß, und das Publikum wird zu einem Kollektiv von zufriedenen Schaulustigen. Denn Tarantino weiß was seine hate group sehen will. Und er lässt wohlweislich eine strikte Trennung zwischen Gewalt an "den Guten" (v.a. Sklaven) und "den Bösen" walten – während erstere visuell auf Andeutungen reduziert ist, geht es bei zweiterer so richtig zur Sache. Mit Gusto. Schön spritzt das Blut auf die schneeweißen Baumwollblüten, kann man da nur sagen.
So wird "Django Freeman", der mit dem originalen Django aus Sergio Corbuccis 1966er Spaghettiwestern wohlgemerkt kaum mehr etwas gemeinsam hat, zum ultimativen Racheengel. Stellvertretend für alle seine Leidgenossen dieser finsteren Ära, und stellvertretend für alle ZuseherInnen im Kinosaal. Und Quentin Tarantino schickt uns nach Inglorious Basterds erneut auf eine auf vielen Ebenen natürlich völlig inkorrekte, aber herrlich befriedigende "Was wäre wenn"-Reise in die finstereren Regionen unserer kollektiven Fantasie.
Deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben halte ich für unangebracht. Ebenso wie eine womöglich intellektuell verkrampfte historische und philosophische Analyse des Films. Wie meinte Abed in der ebenfalls hervorragenden Serie Community so schön: "I guess I just like to like things". Tja, es gilt eben auch andersrum: we like to hate things. Nein, we LOVE to hate things. Weil: there is so much love in this hate group.
Meine Wertung: |
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