Review< Zurück 29.06.2011

Almanya - Willkommen in Deutschland

Von Max Werschitz

"Wir riefen Arbeitskräfte, es kamen Menschen" meinte Max Frisch einst. Und dieser einfühlsame Film der Schwestern Samdereli erzählt die Geschichte einiger dieser Menschen: die Familie von Hüseyin, der sich in den 60ern als Gastarbeiter aus der Türkei ins ferne "Almanya" wagte.

Stell dir vor in der Turnstunde steht Fußball am Programm und keiner will dich in seine Mannschaft wählen. Dem sechsjährigen Cenk (Rafael Koussouris) passiert das nicht weil er etwa ein mieser Kicker wäre, sondern weil seine Klassenkollegen in kindlichem Patriotismus eine Partie Deutsche VS Türken aufstellen wollen – und ihn keine der beiden Gruppen als zugehörig sieht.

"Was sind wir denn jetzt, Türken oder Deutsche?" fragt er zuhause als drei Generationen seiner Familie gemeinsam am Tisch sitzen. "Türken", sagt sein Vater Ali (Denis Moschitto), "Deutsche", sagt seine Mutter Gabi (Petra Schmidt-Schaller). "Man kann auch beides sein, so wie du", erklärt ihm schließlich seine 22jährige Cousine Canan (Aylin Tezel), und beginnt ihm etappenweise die Geschichte des Großvaters Hüseyin (Fahri Ogün Yardim als junger / Vedat Erincin als alter) zu erzählen. Dieser war in den Sechzigern dem Ruf der deutschen Wirtschaft gefolgt und hatte nach kurzer Zeit als einsamer Gastarbeiter seine Familie nachgeholt und sich ein Leben im so fremden "Almanya" aufgebaut. Und seit kurzem haben er und seine Frau Fatma (Lilay Huser / Demet Gül) sogar einen deutschen Pass. Doch während seine Kinder und Enkelkinder nicht nur oberflächlich deutsche Blüten getrieben haben sind Hüseyins Wurzeln noch tief, und so kommandiert er die Großfamilie für den Sommer zurück in sein Heimatdorf in der Türkei, wo er zur Überraschung aller ein Haus gekauft hat.

Willkommen in der Wohlfühlwelt

Die ganze Familie versammelt.Almanya - Willkommen in Deutschland ist in zwei parallele Erzählstränge geteilt und portraitiert somit sowohl die Anfänge von Hüseyins kleiner Familie in der Türkei und deren ersten Jahre in Deutschland, als auch die Erlebnisse der Großfamilie in der Gegenwart. Der Film behandelt dabei einfühlsam aber stets mit der nötigen Portion Humor komplexe Themen wie Identität, Kultur, Generationenunterschiede und Integration – eingehüllt in einen ähnlichen Kuschelmantel wie 2001 der großartige Wer früher stirbt ist länger tot, das Vorgängerwerk der Münchner Produktionsfirma Roxy Film. Die Premiere fand bereits im Februar bei der Berlinale statt, und seitdem hat Almanya nicht nur Rekordmengen an Kinokarten verkauft sondern auch schon einige Preise angehäuft – welche Ironie dass Regisseurin Yasemin Samdereli, die gemeinsam mit ihrer Schwester Nesrin auch das Drehbuch geschrieben hatte, knapp sieben Jahre brauchte um sich das Produktionsbudget von (im Vergleich zum durchschnittlichen Hollywood-Schinken lächerliche) 4 Millionen Euro zusammenzukratzen.

Das Geld war auf jeden Fall gut investiert: neben einer großen und durch die Bank erstklassigen SchauspielerInnenriege (ich frage mich gerade wo Moritz Bleibtreu abgeblieben ist, der ist doch sonst in jedem Film unserer Lieblingsnachbarn zu finden und wahlweise als Deutscher, Italiener, Grieche oder Türke einsetzbar…) überzeugt auch das authentische Produktionsdesign der 60er-Jahre-Rückblenden und die stimmungsvollen Gegenwartsszenen in Anatolien. Beides wird auf einem Drehbuchteller serviert der alle Anforderungen einer gelungenen (Tragik)komödie erfüllt und sich vor allem in den Details als einfallsreich erweist: so reden (und singen!) zum Beispiel in den Szenen der Anfangszeit der Familie Hüseyins in Deutschland alle Nicht-Türken ein auch für das Kinopublikum unverständliches Kauderwelsch, eine Idee die gleichzeitig Gag und gelungene Darstellung der Hilflosigkeit gegenüber einer fremden Sprache ist.

Fazit: ein zugegebenermaßen etwas weichgezeichneter, aber perfekt inszenierter Wohlfühlfilm mit philosophischen Ansätzen, guten Pointen und vor allem wichtiger Botschaft. Dazu empfehlen wir Kebap Connection (2005) und, für Leute mit noch mehr Sitzfleisch, die TV-Serie Türkisch für Anfänger.

Trailer

Auf einen Blick

  • Jahr: 2011
  • Länge: 97 min
  • Regie: Yasemin Şamdereli
  • Drehbuch: Nesrin Şamdereli, Yasemin Şamdereli
  • Darsteller: Vedat Erincin, Fahri Ogün Yardım, Lilay Huser, Demet Gül, Rafael Koussouris, Aylin Tezel, Denis Moschitto
  • Webseite

Fazit

Meine Wertung:

 

Der dreiste kleine Kinomo

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