Feature-Mo< Zurück 04.04.2011

Diagonale 2011: 'Empire Me'

Von Nick Gruber

Sein eigener Staat müsste man sein. Was für die meisten ein verwegener Plan im Rausche der Alko-pops bleibt, ist für ein halbes Dutzend Ausreisser, besucht vom österreichischen Dokumentarfilmer Paul Poet, der unglorifizierte Alltag.

Wer spürt sie nicht, die Versuchung einen kleinen Rahmen für sich und Gleichgesinnte abzustecken. Sei es um der Abhängigkeit zu entfliehen, sich nicht länger dem Wohlwollen Andersdenkender auszuliefern, oder um die eigene Existenz mit einer Schicht von Bedeutung und Inszenierung zu überlagern. Für den jungen österreichischen Doku-Filmer Paul Poet war es ein mehrjähriges Großprojekt. Das Ergebnis: 'Empire Me - Der Staat bin ich' zeigt sechs Orte voller Leute, die die Dinge lieber selbst in die Hand nehmen.

Was meins ist, ist meins.

Sealand, eine ehemalige Festung vor der Küste Englands, wird nun von den Nachkommen des Piraten-Radiomachers Paddy Roy Bates verwaltet und betrieben. Bates hatten diese Plattform aus Stahlbeton Ende der 60er Jahre gekauft, und konnte sie auf Grund ihrer örtlichen Lage (internationale Gewässer) in einen eigenen Mikrostaat verwandeln. 40 Jahre später ist die Familie längst wieder am Festland und das Ding zeigt, wie ein verfallenes Schloss seine Tendenz, die Hausherren zu verarmen. Familie Bates könnte sich aber dennoch eine Zukunft für das Gestell vorstellen: Entweder als eine Art Asyl für verfolgte Datenserver im Netz oder als Patronstaat der 'Bank of Sealand' - 'dort wo die  Privatsphäre der Kunden noch so groß geschrieben wird wie die Festung hoch ist. '

Von der guten alten Zeit träumte offenbar auch der Australische Farmer Leonard Casley, als er 1970 die "Principality of Hutt River" gründete. Der Staatsgründung ging ein Gerichtsstreit über die erlaubte Abgabemenge von Weizen vor, den er zusammen mit vier anderen Farmer gegen die australische Regierung auszufechten hatte  (konkret überschritt er seine erlaubte Quote um das 1000fache). Casley gewann den Prozess und lebt nun als seine 'Hohheit Prinz Leonard der Erste' steuerfrei auf dem australischen Kontinent und darf die Pässe der Besucher im eigenen Souvenirladen abstempeln.

Mehr als nur Material.

Weiter nach Turin zur Föderation der Damanhur - einer Art 'Disneyland für Esoteriker', wie es eine junge Debütantin im Film ausdrückte. Eine Gemeinschaft von mehreren hundert Menschen, die es zu ihrem Credo gemacht haben den inneren Schweinehund im Wesen zu konfrontieren. Dazwischen gibt es sanften Umgang miteinander, Musizieren mit Pflanzen und Seminare wie 'Alien-Kunde I'...

1500 Kilometer weiter nördlich, in Kopenhagen, kam einst der Freistaat Christiania zu Welt. Weitaus unstrukturierter als Damanhur, aber dafür umso frei gestaltbarer. Leider zeigten vor allem die Drogenpusher wenig Spaß am Gestalten der Gesellschaft, was der Christiania wiederum noch weniger gute Publicity verschaffte. Sehr schade, strotzt sie doch voller kleiner Ermutigungen welche die menschliche Fähigkeit zur Selbstorganisation (auch unter widrigsten Umständen) immer wieder unter Beweis stellen könnten.

In der Nähe von Berlin entstand ZEGG, das Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung, ein Ort in dem ausprobiert werden soll was sonst unter die Tabus fällt: Ein gemeinschaftliches Leben ohne Konsum und Profitdenken - für die Leute von Zegg keine Zukunftsvision sondern eine Notwendigkeit für heute.  In sehr ungehemmten Gruppentherapien wird die Scheu vor dem bewussten Umgang mit der Geschlecht und Geschlechterrolle abgebaut. Danach gibt es handwarme Öl-Therapien mit Ganzkörperkontakt - das lässt einen das Wohlgefühl der Monate im Emobrionalstadium weniger vermissen.

Den Abschluss der Reise ein Besuch bei der Kunst persönlich, verkörpert durch die 'Schwimmenden Städe von Serenissima', einer kleinen Flotte von handgemachten Flößen in herrlicher Unordentlichkeit. Die US-Amerikanischen Künstler an Bord träumen davon ihre Installationen zur Biennale in die Kanäle von Venedig zu steuern und die Welt dadurch mit ein bißchen Einfallsreichtum zu inspirieren. Was ist das auch für ein Ort um über den Sinn des Lebens nachzudenken - denn was schließlich als Momentaufnahme 'Schwimmendes Möbelknäuel in Kanal' in Erinnerung bleiben könnte, wird für die Künstler-Crew einst eine lebensverändernde Erinnerung an eine lange Fahrt ohne Alltagskomfort bleiben. Kunst und Technik haben zumindest als Wort eine gemeinsame Herkunft (Tekhno - die Kunst, das Handwerk). Nachdem auf den Flößen die Klotüren fehlen, sieht man das vermutlich auch alles nicht mehr ganz so voneinander getrennt.

Empire Me wird im Herbst in österreichischen Kinos zu sehen sein.