Review< Zurück 17.08.2009

Coraline

Von Max Werschitz

Nach 'Nightmare before Christmas' ist der legendäre Henry Selick nun endlich wieder da, mit einer ganzen Armee von Puppen in der Tasche: das Stop Motion-Gruselmärchen 'Coraline', basierend auf einer Geschichte des nicht minder genialen Neil Gaiman, sorgt seit letzter Woche für den größten winzigen Kinospaß des Sommers.

Mal ehrlich, es gibt wohl kaum etwas Überzeugenderes für einen Kinobesuch als den Satz "Von Henry Selick, Regisseur von Nightmare before Christmas" in schnörkelig-verspielten Lettern und der Tatsache dass er komplett mit Stop Motion-Technik gemacht wurde. Und wenn die Geschichte dann obendrein auch noch von Neil Gaiman ist... Also stürzte ich mich gestern Abend endlich knopf... äh, kopflos vor Freude in die ebenso wunderbare wie gruselige Welt von Coraline Jones, einem blauhaarigen aber für ihr Alter erstaunlich unblauäugigen Mädchen mit einer Mutter zuviel.

Aber der Reihe nach.

Comic- und Buchautor Neil Gaimans (The Sandman, The Books of Magic, American Gods, Stardust etc) (Kurz-)Roman Coraline wurde bereits 2002 publiziert und sahnte im Jahr darauf der Reihe nach Preise ab, unter anderem die nicht nur unter Fantasy/Sci-Fi-Nerds prestigeträchtigen Hugo und Nebula Awards. (Gaiman ist übrigens dieses Jahr schon wieder unter den Hugo-Preisträgern, für The Graveyard Book, der Mann hat's echt drauf). 2008 kam eine Graphic Novel-Version, gezeichnet von P. Craig Russell, auf den Markt (die habe ich heuer zum Geburtstag bekommen, danke nochmal Herwig, mein Lieblings-Nerd). Bei so viel Erfolg war es also nur eine Frage der Zeit bis die Geschichte auch die Kinoleinwand, und das sogar in 3D, erobern sollte, und jemanden Besseren als Henry Selick hätte man sich dafür wohl kaum wünschen können. Die Stop Motion-Legende Nightmare Before Christmas, bei dem er 1993 für bzw. mit Tim Burton im wahrsten Sinne des Wortes Hand anlegte, ist für mich einer der besten Filme aller Zeiten, und landet bei mir alljährlich aufs Neue kurz vor Weihnachten im DVD-Player.

Im Film geht es also wie gesagt um Coraline Jones, die mit ihren Eltern in ein mysteriöses altes Haus mit nicht minder mysteriösen WohnungsnachbarInnen zieht, wo sie jedoch von ihren Erziehungsberechtigten (oder sollte man besser sagen: Unterhaltungsverpflichteten) kläglich vernachlässigt wird. Somit beschließt sie auf eigene Faust auf Entdeckungsreise zu gehen - und findet eine Tür die sie in eine Art Parallelwelt führt. Dort warten erstaunlicherweise dasselbe Haus und die selben Eltern schon sehnsüchtig auf sie... mit ein paar wichtigen Unterschieden. In dieser anderen Welt scheint alles bunter und freundlicher, und alle wirklich an Coraline interessiert zu sein. Ganz besonders die "Andere Mutter", die Coraline gar nicht mehr gehen lassen will. Das abenteuerlustige Mädchen ist zwar zuerst misstrauisch, findet aber bei ihren weiteren Besuchen immer mehr Gefallen an ihrem alternativen zuhause. Wenn da nicht die Warnungen des sprechenden Katers wären, und die Sache mit den Knöpfen, die sie sich - wie alle Wesen in dieser Welt - anstatt ihrer Augen annähen müsste...

Gaiman und Selick werden ihrem Ruf tatsächlich gerecht: Coraline ist überzeugend bis ins kleinste Detail. Die schaurig-schöne, ein bisschen an Alice im Wunderland erinnernde Geschichte ist witzig und spannend, und regt darüber hinaus auch durchaus zum Nachdenken an. Die visuelle Umsetzung ist ein Feuerwerk an liebevoll gestalteten Fantasien, Farben und Formen, ganz wie man es von Nightmare before Christmas gewohnt ist. Dazu kommt noch eine gehörige, wenn auch gut dosierte, Portion Gruseln, zwar nicht ganz so heftig ausgeprägt wie im Graphic Novel (und wie es im Originalroman vonstatten geht kann ich nur vermuten), aber sagen wir mal so: im Alter von 10 oder darunter hätte ich den Film wohl besser nicht geschaut.

Aber was mich - wieder einmal - am meisten beeindruckt hat ist die Tatsache dass es Menschen gibt die sich die Arbeit antun einen Film dieser Art überhaupt zu machen. Denn wie man in diversen Making-of Videos auf YouTube (z.b. hier) bestaunen kann ist der Aufwand für Stop Motion-Filme fast schon unmenschlich: da stricken die einen monatelang mit Nadeln fast so dünn wie Haare eine ganze Miniaturgarderobe, während andere hunderte von einzelnen, minimal unterschiedlichen Händen und Gesichtern anfertigen nur um die nötige Gestik und Mimik für ein paar Sekunden Dialog zustandezubringen, und drumherum die gigantischsten winzigen Sets aller Zeiten gezimmert werden. Am Höhepunkt der Produktion arbeiteten gut 450 Leute am Film, auf einer 13 Quadratkilometer großen "Bühne". Doch der Aufwand zahlt sich, und das haben wir schon bei Nightmare gesehen, mehr als aus: die Ästhetik und der Charme der mit dieser Technik visuell zustande kommt ist mit schnöder 3D-Animation einfach nicht zu erreichen. Ich kann nur sagen: ein Hoch auf die Nerds (da sind sich wohl auch Gaiman und Selick einig), you shall inherit the (mini-)earth.

Alles in allem ist Coraline ein modernes (Schauer)märchen das sich vor seinen jahrhundertealten Gattungsvettern nicht verstecken muss. Ein optisch-opulentes Fantasie-Feuerwerk für große und kleine Abenteurer - bitte lasst Unsinn wie "G-Force" und co links liegen und geht diesen Film dafür am besten gleich ein paar Mal!

 

Meine Wertung:
5 Kinomos